Schrauben, sägen, nageln, malen – auf der Kinderbaustelle in Luzern handwerken die Kleinen. Hier dürfen sie tun, was zu Hause oft verboten ist. Das Ergebnis: ein buntes Traumschloss, das sie jede Woche wieder umbauen.
Text: Rahel Schmucki Bilder: Gabi Vogt
Mit einem Akkuschrauber in der Hand steigt Claudia Berg (39) aus dem grünen Wohnwagen. Blaue Latzhose, oranger Bauarbeiterhelm. Es ist Mittwochnachmittag, und mittwochnachmittags wird auf der Kinderbaustelle auf dem Eisenplatz in Luzern gebaut. Zwischen 14 und 18 Uhr sind die 5- bis 12-jährigen Kinder am Werk. «Habt ihr Energie mitgebracht?», ruft Claudia Berg den ersten zwei Kindern entgegen und wirft sich mit ihrem Schrauber in eine James-Bond-Pose.
Noch etwas schüchtern nehmen Tim (11) und This (11) einen gelben Bauarbeiterhelm vom Haken und gehen zu den vier bunt bemalten Türmen. Die beiden waren aber schon oft hier und wissen, wies läuft. «Komm, wir schauen, was sich seit letztem Mal verändert hat», sagt Tim zu This und klettert an einem Turm hoch. Sie haben sich bereits entschieden: Heute wollen sie bohren und schrauben – Hauptsache der Akku-schrauber surrt.
Keine Bewertung
«Die Kinder dürfen hier machen, worauf sie Lust haben», erklärt Berg das Konzept. Zusammen mit Patrick Walpen hat sie vor einem Jahr die Kinderbaustelle gegründet. In ihrem Beruf als Gestaltungslehrerin stört sie sich oft am Schulsystem. «Es stresst mich, dass ich die Werke der Kinder bewerten muss», sagt sie. Als dann für die Zwischennutzung auf dem Eisenplatz Projekte gesucht wurden, kam ihr und ein paar Freunden die Idee mit der Kinderbaustelle.
Fleissiges Werkeln auf der Kinderbaustelle: Flurin (links) und Isaac bemalen einen der Türme.
Auf der ehemaligen Brache stehen heute ein naturnaher Garten für einheimische Pflanzen und Tiere, ein Hühnergehege, ein rundes Jurten-Zelt, ein Bistro-Wagen, ein Plumpsklo und die Kinderbaustelle. Das bunte, zweistöckige Traumschloss ist aus verschiedenen Hölzern zusammengenagelt und -geschraubt. Vier Brücken verbinden die vier Türme, drei improvisierte Rutschbahnen führen von ihnen auf den Boden. «Das haben alles die Kinder dieses Jahr gebaut», sagt Berg sichtlich stolz. Natürlich habe das sechsköpfige Team ein bisschen mitgeholfen.
Alle Bauten werden Claudia-geprüft
Tim und This sind noch etwas ratlos. Nachdem sie alle Wege einmal abgelaufen sind, setzen sie sich auf einen Turm und suchen nach einer Stelle zum Bauen. «Hier könntet ihr die Brücke ausbessern», ruft Berg von unten und zeigt auf eine noch wacklige Konstruktion zwischen zwei Türmen. Die beiden Freunde klettern runter, holen Akkuschrauber, Bretter und lange Schrauben und klettern wieder hoch. Eine halbe Stunde lang werkeln, schrauben und bauen sie, dann ist die Brücke stabil.
Gut geschützt: Tim und This bereiten sich für ihren Baueinsatz vor.
Ob etwas Gebautes sicher und begehbar ist, entscheidet Berg. Sie klettert auf die Brücke, stampft mit dem Fuss und hüpft über die Bretter. «Hier wird nicht Suva-, sondern Claudia-geprüft», sagt sie und lacht. Wenn die Bretter ihr Gewicht halten, dürfen die Kinder den Weg benutzen. Trotzdem betont Berg immer wieder: «Das ist eine Baustelle, kein Spielplatz.» Aus dem Holz steht schon mal ein Nagel hervor, und die Bretter sind nicht abgeschliffen. Deshalb gibt es auf der Baustelle eine Helmpflicht.
Nach einer Stunde treffen weitere Kinder ein. Marion (10) und Sophie (9) fragen nach einem «Meter». Sie wollen eine Bank bauen, die unter den grössten Turm passt. «Dafür müssen wir die Länge der Hölzer abmessen», erklärt Marion fachmännisch. Gemeinsam sägen sie mit einer grossen roten Säge, auf jeder Seite ein Mädchen. Berg gibt ihnen Tipps und hält das Holz fest. Inzwischen sind auch Isaac (5), Charlie (8), Ruben (7) und Flurin (5) gekommen. Sie haben sich für Pinsel und Farbe entschieden und bemalen die Wände der Türme mit brauner Farbe. Beda (7) hat eine Säge entdeckt und wartet auf Claudia Bergs Hilfe. Er will ein Brett kürzen, das den Weg auf der Brücke versperrt.
Die Baustelle ist eine elternfreie Zone
Das Baumaterial sammelt Berg selber, «alles Abfallmaterial». Sie bekommt es von Schreinereien, Baumärkten und Privatpersonen. Gekauft sind nur die Helme, das Werkzeug hat sie von Sponsoren bekommen. «Am meisten Geld haben wir für eine grosse Apotheke ausgegeben.» Diese haben sie bis jetzt nur für Schürfwunden gebraucht. «Meistens waren die nicht von der Baustelle, sondern vom Herumtollen auf dem Kiesplatz», sagt Berg. Finanziert wird das Projekt über ihren Verein und von Gönnern. Seit Dezember gehören auch die Stadt und der Kanton Luzern zu den Unterstützern. Für die Kinder ist das Angebot gratis.
Auf die Baustelle dürfen Kinder, sobald sie in der Schule sind – eigentlich. «Wenn jüngere, selbstständige Kinder kommen, weisen wir sie nicht ab», sagt Berg. Eltern hingegen dürfen die Baustelle nicht betreten. «Elternfreie Zone», nennt Claudia Berg das. Jeweils zwei Erwachsene sind vor Ort, um die Kinder zu unterstützen. Heute ist Melinda Giger, eine langjährige Freundin von Berg, da. «Die Kinder sollen selber Ideen haben dürfen. Es gibt keine Anleitungen.» Das sei nicht immer einfach. Es gebe viele Eltern, die ihren Kindern etwas beibringen und jeden Schritt überprüfen wollen. «Da müssen wir freundlich darauf hinweisen, wie wichtig es ist, dass die Kinder selbst ihre Erfahrungen machen.»
Nach zwei Stunden Arbeit sind die Kinder langsam müde. Melinda Giger hat ein Feuer gemacht, über das sie einen Kessel mit Popcorn hängt. Die Kinder holen sich in farbigen Bechern Wasser aus dem Kanister, ziehen die Helme aus und setzen sich ums Feuer. Zeit für den Bauarbeiter-Zvieri.
Weitere Informationen zur Kinderbaustelle in Luzern.
(Artikel erschienen im Migros-Magazin am 9. September 2019)