Ein einmaliges Erlebnis ohne Segen der Kirche: So stellen sich heute vier von fünf Paaren ihre Trauung vor. Zwei Anbieter solcher Zeremonien plaudern aus dem Nähkästchen.
Text: Rahel Schmucki
Schweizerinnen und Schweizer sagen noch immer gerne Ja – im letzten Jahr fanden 39 797 Hochzeiten statt. Gleichzeitig ist die Zahl der kirchlichen Trauungen in der Schweiz an einem Tiefpunkt angelangt. Im Jahr 2017 haben sich nur gerade 7044 von insgesamt 40 599 Paaren für die Eheschliessung in der Kirche entschieden.
Eine Zeremonie wollen die meisten aber dennoch feiern, Alternativen zur Trauung mit Pfarrer findet man im Internet haufenweise: Sogenannte Zeremonienleiter und Traurednerinnen bieten Brautpaaren an, eine «freie Zeremonie» zu gestalten. Sie schaffen für den Anlass einen feierlichen Rahmen – ganz ohne Segen der Kirche. Dafür kann man sich in der Luft oder unter Wasser trauen lassen, auch von einem Schamanen. Viele Kunden entscheiden sich für Anbieter, die die Trauung unter freiem Himmel durchführen.
Eine dieser Zeremonienleiterinnen ist Anita Lusti. Die ehemalige Sekundarlehrerin setzt seit sieben Jahren auf Heiratsfeiern ohne Kirche. Heute hat die 39-Jährige mehr Aufträge, als sie annehmen kann.
Einen Grund für die grosse Nachfrage sieht sie darin, dass für die Eheschliessung auf dem Standesamt im Gesetz ein geschlossener Raum vorgeschrieben ist. «Sobald amtliche Trauungen auch draussen zugelassen werden, haben wir vermutlich weniger zu tun», sagt Lusti (siehe Box unten). Denn zu Anita Lusti kommen vor allem Paare, die aus der Kirche ausgetreten sind, oder solche, bei denen jemand die Ehe zum zweiten Mal eingeht – und gleichgeschlechtliche Paare. «Sie wollen ein feierliches Ritual, und das meistens unter freiem Himmel.»
Jede Trauung ist individuell
Anita Lusti leitet 20 bis 25 Zeremonien im Jahr. «Ich will, dass jede individuell ist. Bei zu vielen Zeremonien leidet die Kreativität.» Individuell heisst für sie, in Gesprächen die Geschichte des Paares zu erfahren und sie in einer Rede wiederzugeben. Dazu baut Lusti Elemente ein, die zur Geschichte passen.
Das können Papierschiffchen sein, die die Gäste auf dem Fluss schwimmen lassen, oder ein im Tuk-Tuk vorfahrendes Brautpaar, weil die beiden eine Weile in Asien gelebt haben. «Die meisten wollen nichts Aussergewöhnliches. Sie wollen eine Feier, die sie widerspiegelt.» Religiöse Trauungen macht die ausgebildete Katechetin nicht. «Ich lese höchstens die Beschreibung der Liebe aus dem Korintherbrief vor. Aber nicht aus religiösen Gründen, sondern weil ich sie so treffend finde.»
Aufträge ablehnen, weil sie sich mit der Aufgabe nicht identifizieren konnte, musste Anita Lusti noch nicht oft. Eine Grenze zieht sie dennoch: «Ich mache keine Clownshow.» Für sie sei es wichtig, dass das Ritual dem Brautpaar etwas bedeute. Andernfalls lehne sie die Anfrage ab. Für einen Auftrag benötigt Lusti zwischen 25 und 30 Stunden. Kostenpunkt: Zwischen 1900 und 2100 Franken.
Auch Krisen ansprechen
Lusti ist bei Weitem nicht die einzige Vertreterin der Branche. Daniel Stricker (48) leitet seit 2012 Zeremonien. «Als Trauredner hat man mehr Zeit als ein Standesbeamter für die Vorbereitung einer Zeremonie. Und vielen Paaren ist eine sehr persönliche Rede wichtig.» So erklärt Stricker die grosse Nachfrage.
Seine Arbeit überschneide sich mit der eines Journalisten: Er interviewt Menschen, schreibt darauf eine Rede und trägt sie an der Trauung vor. «Paare, die zu mir kommen, wollen keine kitschige Feier, sondern eine Zeremonie, die wirklich berührt», beschreibt Stricker seine Kunden. Wenn er seine Arbeit gut mache, seien die jungen Gäste nicht gelangweilt und die Grosseltern nicht schockiert.
Um mit einer Rede zu begeistern, müsse man den Mut haben, auch einmal eine Krise anzusprechen, die das Paar überwunden hat. «Das ist manchmal eine ziemliche Gratwanderung und braucht Fingerspitzengefühl. Dafür wird die Rede lebensnaher und berührt die Gäste mehr.» Nach der Willensbekundung des Paares folgen der Ringtausch und der Kuss. Mit diesem Höhepunkt enden die meisten seiner Zeremonien. «Ein guter Redner weiss, wann er schweigen muss», sagt Stricker und lacht. Für seine Arbeit verlangt er 2300 Franken. «In der Schweiz gehöre ich damit wohl zu den exklusiveren Anbietern.»
ANDERS JA SAGEN
Unter der Wasseroberfläche
Heiraten unter Wasser kann man bei Melanie Gutschi von Helia Zeremonien in einem Pool in Sirnach TG. Melanie Gutschi ist Zivilstandsbeamtin und leidenschaftliche Taucherin. «Während ich dem Paar auf Schildern Anweisungen gebe, können die Angehörigen das Spektakel durch ein Fenster im Pool beobachten», sagt Gutschi.
Bis jetzt sei die Nachfrage nicht gross. Gutschi hat erst ein Paar auf diese Art getraut. Auch die Trauung in der Cabrio-Seilbahn aufs Stanserhorn sei nicht so gefragt. So viel Abenteuer brauche es oft gar nicht. «Die meisten Anfragen bekommen wir für normale Zeremonien unter freiem Himmel.»
Auf die spirituelle Art
Wer eine naturverbundene Zeremonie sucht, kann sich von Schamane Eric Vincent Studer trauen lassen. «Das Hochzeitsritual wird im sogenannten Medizinrad auf einem speziell dafür geweihten Kraftplatz in der Natur zelebriert. Jede Himmelsrichtung wird einem Naturelement zugeordnet», erklärt Studer. Das Paar bekommt in der Zeremonie ein Krafttier zugeordnet, reinigt sich mit Wasser, verbrennt symbolisch schlechte Erlebnisse aus der Vergangenheit und bekommt einen Baum geschenkt, der für die Stabilität in der Ehe steht. Studer traut so jährlich zwei bis drei Paare.
Das gilt es zu beachten:
• Rechtsgültigkeit: Eine «freie Zeremonie» ist noch keine rechtsgültige
Eheschliessung.
• Standesamt: Eine Ehe ist erst dann offiziell, wenn sie an einem vorgegebenen Ort in einem geschlossenen Raum geschlossen wird, mit einer Standesbeamtin oder einem Standesbeamten und den Trauzeugen
(Artikel erschienen im Migros-Magazin am 3. Juni 2019)