Emanuel Schwander hat das Downsyndrom – und arbeitet seit 14 Jahren als Hallenchef in der Firma Prontoplast in Wetzikon. Ein Besuch an einem geschützten Arbeitsplatz in der freien Marktwirtschaft.
Text: Rahel Schmucki Bild: Christian Merz
Emanuel Schwander hat sich chic gemacht. «Extra für den heutigen Besuch», sagt Roman Kaufmann, stellvertretender Geschäftsführer der Prontoplast Spritzguss AG in Wetzikon. «Emanuel», wie Schwander sich gleich vorstellt, trägt ein farbiges Kurzarmhemd, eine blaue Arbeitshose und schwarze Sicherheitsschuhe. Das rote Bärtchen ist frisch getrimmt. Schnellen Schrittes geht er durch die Produktionshalle von Maschine zu Maschine und schliesslich ins Lager, wo der Gabelstapler steht.
«Ich bin hier der Hallenchef», sagt der 31-Jährige aus Dürnten. Dass er hier arbeiten kann, ist für Emanuel Schwander nicht selbstverständlich. Er hat das Downsyndrom und benötigt einen geschützten Arbeitsplatz (siehe Box). Wie es dazu gekommen ist, erklärt er gleich selbst, korrekt und präzis bis ins Detail:
«Im Jahr 2003 hat sich der damalige Chef Erwin Ruckstuhl bei der Stiftung Züriwerk nach einer Hilfskraft erkundigt, und ich habe mich auf das Stellenangebot gemeldet.» Bevor er spricht, macht er das jeweils nach einer kurzen Pause, in der er sich die Antwort genau zurechtlegt.
Immer mehr Zuständigkeiten
Ursprünglich wollte Emanuel Schwander Landwirt werden. «Aber das war für mich leider nicht möglich», erzählt er. Deshalb habe er eine Anlehre in der Produktion im Züriwerk in Bubikon abgeschlossen. In Wetzikon hat er in der Produktionshalle mit kleineren Putzarbeiten angefangen. «Ich habe einmal pro Woche gestaubsaugt. Mittlerweile bin ich täglich, ausser am Mittwoch, als Hallenchef tätig», sagt Schwander.
Zu seinen Arbeiten gehören heute die «Güselrunde» am Morgen, weiter das Begrüssen von Gästen und das Annehmen von Waren, die mit Lastwagen angeliefert werden, sowie kleinere Arbeiten in der Werkstatt. Die Reihenfolge seiner Arbeitsschritte kennt Schwander genau. «Seit Kurzem darf ich auch den Gabelstapler bedienen, dafür musste ich aber zuerst einen Kurs bestehen», erklärt Schwander. Sein Können beweist er gleich, indem er demonstriert, wie er mit dem Stapler an die Kartons im obersten Regal herankommt.
Unter Aufsicht
Seine Arbeit nimmt Emanuel Schwander sehr ernst. Er arbeitet heute 90 Prozent: dreieinhalb Tage bei Prontoplast und einen weiteren Tag im Hofladen des Züriwerks in Bubikon. «Ich gehe gerne arbeiten, ausser wenn ich krank bin. Dann soll man nämlich zu Hause bleiben, weil man sonst alle ansteckt.»
Schwander weiss, er wird hier gebraucht. Das bestätigt Roman Kaufmann, der stellvertretende Geschäftsführer. «Schwände», wie er Emanuel kollegial nennt, sei ein wichtiger Teil der Firma. In der Produktionshalle fühlt sich Emanuel Schwander zu Hause. Er kennt die Maschinen, hat seinen eigenen Arbeitsplatz für kleinere Produktionsarbeiten und bedient die neue Kaffeemaschine.
Trotzdem benötigt er in seinem Arbeitsalltag mehr Hilfe als die anderen Mitarbeiter. «Vorgaben und Strukturen sind für Emanuel sehr wichtig », sagt Kaufmann. Schwander kenne seine Aufgaben ganz genau und erledige diese immer in derselben Reihenfolge. Schwander sei für das Unternehmen ein Mitarbeiter wie jeder andere. Nur der Umgang mit ihm ist etwas anders, weil Emanuel anders funktioniert als der Rest der Mitarbeiter», sagt Kaufmann. Jeder Mitarbeiter habe eine andere Weise, wie er mit Emanuel Schwander zusammenarbeite. «Seine Art ist für uns wertvoll und wird vom ganzen Team geschätzt.»
Mehr als ein Arbeitskollege
Schwierigkeiten bereitet dem Mann mit dem Downsyndrom manchmal, wenn jemand etwas an seiner Arbeit kritisiert. Schwander selbst sagt: «Bekomme ich einen Anschiss, habe ich manchmal keine Lust, gleich weiterzuarbeiten.» Kaufmann pflichtet ihm bei: «Ja, in manchen Situationen nimmst du Kritik schneller persönlich als andere Mitarbeiter.»
Der 31-Jährige lebt in Dürnten in einer Wohngruppe, seit vier Jahren kann er ein eigenes Studio bewohnen und den Haushalt selber bewältigen. Da besucht ihn auch sein Arbeitskollege Roman Kaufmann ab und zu. «Deine Wohnung ist immer sehr sauber, und jeder Lappen hat seinen eigenen Platz», sagt Kaufmann zu Schwander. Dieser gibt schlagfertig zurück: «Ja, bei mir ist es viel sauberer als bei dir zu Hause.»
Dass Schwander mit seinen Arbeitskollegen gut auskommt, merkt man am lockeren Umgang. Er gehört hier dazu. Am Mittag werde jeweils zusammen eingekauft und in der kleinen gemeinsamen Küche gekocht. «Im Sommer grillieren wir auch mal auf dem Vorplatz», erzählt Schwander und gerät ins Schwärmen über die saftigen Schweinshaxen, die er schon gegessen hat.
Im Ausland unterwegs
Nach der Führung durch die Produktionshalle trinkt Emanuel Schwander im Pausenraum einen Kaffee. Er selbst hat ihn für alle zubereitet. Während er am Kaffee nippt, erzählt er von seinen Reisen. «Ich war schon in Kenia, in Island und auf zwei Segelturns.» Unterwegs sei er mit Procap, einem Reisebüro, das sich auf Reisen für Menschen mit Behinderungen spezialisiert habe.
Auch in der Schweiz ist Schwander viel unterwegs. Er legt im Züriwerk als DJ auf, fährt Snowboard, spielt Schlagzeug und Keyboard, beginnt im Frühling mit einem Breakdance-Kurs und spielt gerne Billard: «Da bin ich schon ein halber Profi», sagt er mit unverblümtem Stolz.
Aber auch für seine Arbeitskollegen findet Schwander noch Zeit an seinen freien Tagen: «Wir gehen oft zusammen ins Kino, oder ich werde zum Znacht eingeladen.» Mit seinem ehemaligen Chef Erwin Ruckstuhl verbringt er manchmal seine Ferien in Österreich, und mit Roman Kaufmann geht Schwander ab und an zum Squashen. Auch da zeigt sich Schwander ehrgeizig: «Roman spielt schon nicht schlecht, aber beim letzten Mal war ich besser.» Kaufmann gibt gleich zurück: «Jaja, Schwände. Wer hat denn genau gewonnen?»
Unterstützung durch das Züriwerk
«Emanuel Schwander ist ein gutes Beispiel, wie die Integration von Menschen mit Beeinträchtigungen im ersten Arbeitsmarkt aussehen kann», sagt Sabine Klapper, Kommunikationsleiterin der Stiftung Züriwerk. Die Stiftung arbeite im Bereich Berufliche Integration mit rund 150 Partnerunternehmen zusammen und bekomme auch Anfragen von weiteren Firmen, die eine Stelle für Menschen mit Beeinträchtigung zu vergeben hätten und mit Züriwerk zusammenarbeiten möchten. So können die Job-Coaches mögliche Kandidaten offenen Arbeitgebern vorstellen. «Dadurch, dass wir im Vorfeld genau abklären, was die Erwartungen des Unternehmens sind, und unsere Klienten durch einen Jobcoach begleitet werden, haben wir viele gute Erfahrungen gemacht», sagt Klapper. Auch Emanuel Schwander hat seinen Arbeitsvertrag mit der Stiftung Züriwerk abgeschlossen. Den Lohn für seine Arbeit erhält er von der Prontoplast.
(Artikel erschienen im Zürcher Oberländer am 21. Februar 2017)