Mit Jenny Schürch hat an der Zürcher Fachhochschule ZHAW erstmals eine Frau den besten Studienabschluss geschafft. Für die Informatikerin ein Ansporn beim Studium an der ETH.
Text: Rahel Schmucki Bilder: Roger Hofstetter
Jenny Schürch steigt die Treppe zum Technikum Winterthur hinauf. Auf dem Rücken der schwere Rucksack. Laptop, Bücher, Tablet. Sie kommt gerade von der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich, wo sie vor Kurzem das Masterstudium in Informatik begonnen hat. «Es ist irgendwie komisch, wieder hier zu sein», sagt die 27-Jährige. Vor ein paar Wochen hat sie am Technikum ihr Informatik-Grundstudium mit dem Bachelor abgeschlossen. Mit dem Notenschnitt von 5,83 hat sie alle überflügelt und als Jahrgangsbeste abgeschlossen. Schürch ist die erste Frau in der fast 150-jährigen Geschichte der ZHAW School of Engineering, der das gelungen ist. Und das in einem Studienfach, das in der Schweiz bis heute eine Männerdomäne ist.
2019 haben laut dem Bundesamt für Statistik 1460 Personen an Universität oder Fachhochschule einen Bachelor in Informatik erworben. Nur 154 oder 10,5 Prozent waren Frauen. Der Frauenanteil nimmt beim Technologie-Fach an Fachhochschulen zwar seit Jahren stetig zu. International gesehen, hinkt die Schweiz aber hinterher. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Informatik-Lehre. Hier beträgt der Frauenanteil gemäss Verband für ICT-Berufsbildung heute etwa 14 Prozent.
Ein Raumschiff-Rennen motiviert
Einen Computer gab es bei Jenny Schürch zu Hause, solange sie sich erinnern kann. Ihr Vater ist Informatiker. Als sie klein war, durfte sie manchmal auf Vaters Rechner spielen. «In einem Spiel musste man mit einem Raumschiff ein Rennen fahren», erinnert sie sich.
Bald bekam sie den ersten eigenen Computer und begann, ihn rege zu nutzen. «Ich habe viele Fragen gestellt, da hat mir mein Vater ein dickes Informatikbuch auf den Tisch gelegt, und ich habe angefangen, darin zu lesen.» Bald stand ihr Berufswunsch fest: Informatikerin.
«Viele Mädchen kommen spät mit Naturwissenschaften in Kontakt, da der Fokus in der Primarschule auf anderen Fächern liegt. Über andere Ausbildungen wissen sie früher Bescheid, weshalb ihre Entscheidung vorgespurt ist», sagt Elisabeth Stern, ETH Professorin für Lehr- und Lernforschung. Das sei mit ein Grund, weshalb wenig Frauen sogenannte Mint-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) studieren. «Mädchen, deren Eltern selbst Naturwissenschaftler sind, kann die Entscheidung leichter fallen», erklärt Stern.
Es war nie Schürchs Ziel, den Bachelor gleich als Beste abzuschliessen. «Ich war immer eine eher schwache Schülerin», sagt sie und lächelt verlegen. Nach der Primarschule in Uster wurde sie in die Sek B eingeteilt, konnte aber bereits nach einem halben Jahr in die Sek A wechseln. «Es lag nicht an der fehlenden Intelligenz, ich hatte einfach nicht so Lust auf die Schule und habe viel vor mich hingeträumt.» Mit geringem Aufwand sei sie eine durchschnittliche Schülerin gewesen.
Das wollen Jugendliche werden
Mädchen mit 15 Jahren:
- Kaufmännische Angestellte
- Ärztin
- Kleinkindererzieherin
- Fachfrau Gesundheit
- Primarlehrerin
- Kindergärtnerin
- Rechtsanwältin
- Detailhandelsangestellte
- Modedesignerin
- Tierärztin
Jungen Frauen mit 21 Jahren:
- Primarlehrerin
- Ärztin
- Kleinkindererzieherin
Jungs mit 15 Jahren:
- Informatiker
- Profisportler
- Automechaniker
- Kaufmännischer Angestellter
- Rechtsanwalt
- Koch
- Architekt
- Elektromonteur
- Schreiner
- Pilot
Top 3 bei jungen Männern mit 21 Jahren:
- Pilot
- Ingenieur
- Manager
Quelle: Studie des Eidgenössischen Instituts für Berufsbildung von Irene Kriesi und Ariane Basler (2020)
Und trotzdem hat sie gleich nach der Sekundarschule die Informatikmittelschule (IMS) angehängt. Unverhofft dazu beigetragen hat auch eine Berufsberaterin, die sie gefragt habe: «Eine Informatiklehre? Willst du nicht lieber das KV machen?» Das hat Schürch damals so genervt, dass sie sich dachte: jetzt erst recht! Nach drei Jahren Schule, einem Praktikumsjahr und fünf Jahren als Webentwicklerin hat sie sich doch noch zum Gang an die ZHAW entschlossen.
Ihr Jahrgang bestand aus 11 Frauen und 107 Männern. Ähnlich sieht das Verhältnis zwischen Studentinnen und Studenten an der ganzen School of Engineering aus: 54 zu 423. Für Schürch war das kein Grund, ein anderes Fach zu wählen. «Das hat mir nicht viel ausgemacht. Nur wegen der vielen Männer sollte sich keine Frau davon abhalten lassen, das zu studieren, was sie interessiert.»
Die Rückkehr in den Schulalltag
Da sie zu den ältesten Studierenden gehörte, hatte sie Angst davor, nicht mehr in den Schulalltag zurückzufinden. «Im ersten Semester habe ich viel gelernt, so richtig gestrebert», erinnert sie sich. Und das hat sich ausgezahlt: Sie schrieb in den ersten Zwischenprüfungen in fast allen Fächern nur Noten zwischen 5,5 und 6. «Ich war überrascht, so gute Noten hatte ich früher nie.» Plötzlich sah sie neue Möglichkeiten. Mit solchen Noten hatte sie zum Beispiel Chancen, ein Semester in Japan, der Heimat ihrer Mutter, zu studieren. «Also lernte ich weiter fleissig, um meinen Durchschnitt nicht zu ruinieren.» Japan liess sie dann zwar bleiben, weil sie die Kurse in Winterthur spannender fand. Ihr Ehrgeiz aber ist geblieben.
In Schürchs Master-Lehrgang an der ETH sieht das Verhältnis von Studenten zu Studentinnen nicht viel anders aus als an der ZHAW. In ihrer Klasse sitzen zwar fast so viele Frauen wie Männer. Das liegt aber daran, dass die Studentinnen in wenige Klasse eingeteilt wurden und es nebenher reine Männerklassen gibt.
An die neue Welt gewöhnt sich Schürch nur langsam: «Da ich von einer Fachhochschule komme, muss ich viele theoretische Kurse nachholen. Das ist zurzeit sehr anstrengend.» Der Master biete ihr aber auch die Möglichkeit, sich weiter zu vertiefen. Zum Beispiel im Thema Künstliche Intelligenz. Sie kann sich gut vorstellen, später in diesem Fachgebiet zu arbeiten.
(Artikel erschienen im Migros-Magazin vom 26. Oktober 2020)