Fransenkleid und Zigarettenhalter, ein Kettenhemd oder Matrosenhut: Im Kostümverleih von Céline Schöller findet man alles für eine gelungene Verkleidung.
Text: Rahel Schmucki Bilder: Roger Hofstetter
Gestreift. Gepunktet. Blau. Schwarz. Beige. Fein säuberlich sortiert liegen die Hosenträger und Fliegen in der zweitobersten Schublade der alten Kommode. Céline Schöller hat sie mit einem Ruck herausgezogen und berät nun ihren Kunden. Schöller ist Inhaberin des Kostümverleihs «Verkleiderei», der Kunde will an einem Krimidinner einen Junggesellen aus längst vergangenen Zeiten geben. «Wenn es warm wird und du deine Veste ausziehst, trägst du nur noch ein weisses Hemd. Da würde ich dir Hosenträger empfehlen, die verleihen dem ganzen Outfit Charme», sagt die 25-Jährige und nimmt ein paar dunkelblaue Hosenträger aus der Schublade. Einen Zylinder trägt der Mann bereits auf dem Kopf. In der einen Hand hält er einen Gehstock mit silbernem Knauf, in der anderen eine silberne Taschenuhr, die ihm Schöller farblich auf den Gehstock abgestimmt hat.
«Verkleiderei – Mietkostüme für Zeitreisende» nennt sie ihren Laden in Eglisau ZH. Im rund 150 Quadratmeter grossen Raum hängen Kleider für Männer und Frauen, sortiert nach Epochen und Themen: Beim Mittelalter hängen lange samtene Röcke, eine Kleiderstange weiter sticht ein grüner Gehrock im Barockstil mit goldenen Stickereien ins Auge. Die nächste Stange bietet lauter Fransenkleider für die goldenen Zwanziger. Viele Zylinder, Melonen, Damenhütchen und Turbane stapeln sich in Regalen. Daneben findet man zu jedem Kostüm das passende Handtäschchen, den passenden Koffer oder Beutel.
Kostümschneiderin an der Oper
Céline Schöller hilft in ihrem Lokal Kundinnen und Kunden, in Rollen zu schlüpfen. «Es ist faszinierend, wie sich die Haltung und manchmal auch der Charakter automatisch verändern, wenn man einen Frack trägt. Oder wenn man in die Rockschichten einer mittelalterlichen Magd steigt», sagt Schöller, die sich auch selbst gern verkleidet.
Kleider haben sie schon immer fasziniert. Nach ihren Ausbildungen als Bekleidungsgestalterin und Theaterschneiderin arbeitete sie an der Komischen Oper Berlin als Kostümschneiderin. Und später, während des Studiums in «Kunst im Handwerk», in einem Kostümverleih. Von diesem konnte sie die meisten Kostüme übernehmen, als der Laden später schloss.
Einen Teil der schon mehr als 5000 Verkleidungsstücke und unzählige Accessoires hat Schöller aber selbst genäht oder aus ihrer persönlichen Sammlung beigesteuert. So auch das Hochzeitskleid ihrer Mutter, eigentlich nichts anderes als eine bunte Hippiebluse.
In ihrer «Verkleiderei» kennt Céline Schöller den Inhalt jeder einzelnen Schublade genau. Für den Kunden mit dem Zylinder zieht sie die oberste Schublade einer kleinen Kommode heraus: «Du könntest auch eine Brille tragen. Die hier passen zu den 20er-Jahren.» Sie zeigt ihm zwei runde Modelle mit Fenstergläsern. Eine mit einer schwarzen Fassung und eine mit einer silbrigen.
Der junge Mann ist jetzt komplett mit Accessoires eingekleidet. «Reicht ein normaler schwarzer Anzug?», fragt er Schöller. Obwohl Originalstücke aus den 20er-Jahren in ihrem Lager hängen, sagt sie: «Ein zeitgetreuer Anzug verändert natürlich deine ganze Silhouette, und er wirkt authentischer. Aber ein normaler schwarzer Anzug geht immer, da kann man nichts falsch machen.» Der Kunde bezahlt für sechs Accessoires 35 Franken. Ein komplettes Outfit hätte etwa 95 Franken gekostet. «Ich weiss, ich bin keine gute Verkäuferin. Ich will niemandem etwas aufschwatzen», sagt Schöller und spielt mit dem grünen Massband, das ihr um den Hals hängt.
Eine Piratin trotz Corona
An diesem Nachmittag muss sie länger auf Kunden warten als üblich. Wegen Corona wurden viele Verkleidungspartys, Theaterproduktionen oder Mittelaltermärkte abgesagt, Kostüme sind momentan nicht so gefragt. Deshalb hat sie im Frühling auch selber entwickelte Textilmasken in ihr Sortiment aufgenommen, die sie jetzt im Laden und über einen Onlineshop verkauft. «Damit konnte ich mich einigermassen über Wasser halten und die Miete bezahlen.»
Hinter der Kasse hängen fertig zusammengestellte Kostüme: ein Ritter, eine Piratin, ein Matrose. Sie sollten diese Woche abgeholt werden. Doch Schöller ist sich nicht sicher, ob die Kunden noch kommen. Das Ritteroutfit aus dunkelrotem Waffenrock, Kettenhemd, Gurt, Schwert und Kniehosen war für eine grosse Geburtstagsparty auf einer Burg gedacht. «Aber mit Corona kann ich mir nicht vorstellen, dass diese Feier stattfindet», sagt sie. Dann geht die Tür auf, und eine junge Frau spaziert in den Laden. «Das ist die Piratin», erklärt Schöller erleichtert. Zwar wurde die Halloweenparty der Kundin abgesagt, aber nun ist sie zu einem Krimidinner eingeladen. «Ich bin die Wahrsagerin. Da passen Rüschenbluse, Gürtel und Kreolen auch perfekt», sagt sie, packt die Sachen ein und bezahlt Céline Schöller dafür 50 Franken.
Wenn die Kostümschneiderin keine Kunden einkleidet, näht sie neue Kleider, kümmert sich um Anfragen und reinigt zurückgebrachte Kostüme. Bei jedem Stück weiss sie genau, wie sie es reinigen kann. «Das meiste kann ich in die Waschmaschine stecken», sagt sie. Die Schuhe, Hüte, Gürtel und den Schmuck desinfiziert sie mit einem hautverträglichen Mittel. Anklebbare Schnäuze oder Zigarettenhalter kann sie nicht genügend reinigen, deshalb kann sie diese nur verkaufen.
Auf Krimidinners gesetzt
Nach einer Woche müssen Kostüme wieder in der Verkleiderei sein. «Ich habe nur selten erlebt, dass etwas kaputt oder sehr schmutzig zurückgekommen ist. Die meisten tragen den Kleidungsstücken Sorge», sagt Schöller. Aber manchmal sei das gar nicht so einfach: Weisse Hemden und Blusen kommen oft mit schmutzigem Kragen zurück. «Je nachdem, welche Schminke auf den Kleidern ist, bekommt man das nicht mehr sauber.» Wenn auch die besten Tricks nicht funktionieren, färbt sie die Kleider ein oder benutzt die Stoffe für ein neues Kostüm.
Mit den Einnahmen kommt sie in normalen Zeiten durch. Während der ersten Corona-Welle war sie jedoch auf die Unterstützung des Bundes angewiesen. Im Herbst lief das Geschäft wieder besser. «Die Leute hatten etwas nachzuholen», sagt Schöller. Trotzdem bleiben die grossen Aufträge für Theater derzeit aus. Ob sie nun wieder Unterstützung erhält, ist noch unklar. Doch so schnell will sie nicht aufgeben. Zurzeit setzt sie auf die Krimidinners, die jetzt noch erlaubt sind. «Und sonst könnte ich vielleicht nebenbei ‹Gestalten› unterrichten», überlegt sie laut.
Weitere Informationen zur Verkleiderei.
(Artikel erschienen im Migros-Magazin vom 30. November 2020)